blog

Drei Irrtümer in Atomkraft-Diskussionen

Langsam reicht’s mir. Auch gestern hatte ich wieder eine Diskussion auf Twitter (anlässlich der aktuellen Castor-Blockaden)

Ich werde keine Namen nennen, aber 1:1 zitieren:

den castor-demonstranten sollte man einfach mal für ein jahr den strom abdrehen. die machen das garantiert nie wieder.

und als Antwort nach einigem hin-und-her (es fielen Wortgefechte wie „hinter uns die Sintflut, oder?“ und :“weils kein strom haben werden, da wir 1000 jahre mit am-gleis-liegen verbracht haben,statt alternativen zu suchen“ habe ich angemerkt, dass die Alternativen zwar wohlbekannt sind, es allerdings billiger sei, Demonstranten wegzuschaffen und sich die Augen zuzuhalten)

die sog. alternativen sind im primitivsten stadium, selbst 7 erden wären zuwenig um die rasant steigenden ansprüche zu stillen

meiner Bitte um Quellen für diese Aussage wurde nicht entsprochen, also habe ich mich selbst einmal schlau gemacht.

Die 3 Irrtümer

Die Atomkraft-Befürworter kommen immer mit den gleichen Argumenten, die sich auf drei Gruppen zusammenfassen lassen, die da lauten:

1) „es gibt keine Alternativen, nicht einmal 7 Erden würden ausreichen, du willst ohne Strom leben?,…“

Nachdem ich nicht auf ungestützte Vermutungen stehe habe ich die Quellenangaben dazu geschrieben, von reiner Polemik haben wir ja alle nichts.
2005/2006 wurden 16% der weltweiten Energie durch Atomstrom erzeugt (1)
2007 lag der Anteil bei weltweit 15% oder 2.608 Terawatt-Stunden Strom (TWhel) (2), im Vergleich dazu lag die Wasserkraft bei 16%.
Der jährliche weltweite Anstieg des Energiebedarfs lag laut Schätzung aus dem Jahr 2008 bei 1,6% p.a. bis 2030 (3), während für Länder wie z.b. Deutschland von einem zusätzlichen Strombedarf im Bereich von -0,5 bis +0,5% ausgegangen wird (4)
Bleiben wir beim Beispiel Deutschland: ein Ausbau der erneuerbaren Energie bis zum Jahr 2020 auf 25-30% ist lt. Experten möglich, je nach Bedarfsschätzung käme es zu geringen bzw. überhaupt keinen Versorgungslücken durch kompletten Atomausstieg. (4)
Diese Versorgungslücken – falls sie überhaupt entstehen – könnten relativ leicht ausgeglichen werden, wenn der (politische) Wille dazu bestünde.
Tja, nach „alternativen sind im primitivsten stadium, nicht einmal 7 erden, …. “ (s.o.) klingt das für mich nicht. Überhaupt setzen nur 31 Länder (von über 200) auf Atomstrom. Nicht, dass ich sarkastisch wäre, aber davon, dass es nur in 31 Ländern der Welt ausreichend Strom gäbe habe ich noch nichts gelesen.

2) „Kernenergie ist CO2-neutral und deshalb umweltfreundlich“

nicht ganz, meine Lieben, nicht ganz. Während es stimmt, dass die Stromherstellung /der Betrieb CO2-arm ist müssen bei einer „ehrlichen“ Rechnung auch Uran-Abbau, Herstellung etc. berücksichtigt werden. Dann ist von CO2-frei keine Rede mehr.
Wie die Tabelle des Ökoinstituts zeigt, gibt es durchaus CO2-ärmere Varianten:

CO2 ist außerdem nur ein Teil des Puzzles: die Folgen von Tschernobyl sind heute noch messbar, dass das Durchschnittsalter von Reaktoren 25 Jahre ist macht die Sache nicht besser.
Falls es nicht ohnehin schon von selbst einleuchtet: alte Reaktoren – veraltete Technik – höheres Sicherheitsrisiko – nicht umweltfreundlich. Die Maximallebensdauer wurde ursprünglich mit 30 Jahren angegeben, mittlerweile aus Kostengründen nach oben verschoben.
Uranabbau ist ebenfalls alles andere als umweltfreundlich: für eine Tonne Uranerz müssen Tausende Tonnen Gestein bewegt werden, da Uran eher in geringer Konzentration vorkommt.
Es entstehen radioaktive Abwässer, ebenso bei der Flutung aufgelöster Gruben. Das Thema „radioaktiver Abfall“ ist nach wie vor nicht gelöst, sondern wird bestenfalls verschwiegen. (6)

3) „ja, aber wer soll sich die erneuerbare Energie leisten? Atomstrom ist zumindest billig.“

Woher dieses Gerücht stammt würde mich interessieren. Denn ist ist nicht wahr, ganz im Gegenteil.
Je nach Kostenbetrachtung liegen die Kosten zwischen 2.000 und 5.000 Euro je installiertem Kilowatt elektrischer Leistung (kWel).
Zum Vergleich: Die Kosten für ein Gaskraftwerk liegen bei etwa 1.000 Euro, für ein Steinkohlekraftwerk bei 1.300 Euro und für Windkraft bei 1.000 Euro/kWel. (5)
Auch hier gilt: das bezieht sich auf den Bau und Betrieb ohne Katastrophen. Störfälle würden zusätzliche Kostenfaktoren darstellen.
Kommen wir zu dem Punkt, der durch die Castor-Transporte gerade aktuell ist:

die Lagerung des Atommülls

Kann ja nicht so schwer sein. Unterirdisches Lager, gut versiegeln, passt.
So stelle ich mir vor, dass sich Manche das ausmalen. Tatsächlich enthalten die

…Brennelemente Plutonium, daher muss ein Atommüll-Lager rund 250.000 Jahre „dicht” sein. Aufgrund dieser abstrakten Zeitdimension gibt es in keinem Land der Welt eine realistische Lösung des Atommüllproblems (6)

Konsequente Umsetzung des Prinzips „hinter mir die Sintflut“ wenn ihr mich fragt.
Ah ja, falls ihr die Jahreszahlen (so wie ich) nicht ganz parat habt, ich habe für uns auf Wikipedia nachgeschaut: vor 250.000 Jahren war Neandertaler-Zeit und die vorletzte Eiszeit.
Den Homo sapiens sapiens (also den „modernen“ Menschen) gibt es seit 80.000 bis 50.0000 Jahren. Nur falls euch diese Dimensionen an Jahren auf den ersten Blick so wenig sagen wie mir.
Momentan werden die Castor-Behälter in das Zwischenlager in Gorleben gebracht, wo sie von derzeit ca. 400° C in einem oberirdischen Lager in den nächsten 20, 30 Jahren auf rund 200° C abkühlen werden.
Dann erst kann an eine endgültige Lagerung gedacht werden. Obwohl die dafür vorgesehenen Lagerstätten seit Ende der 90er Jahre von Experten als nicht unproblematisch gesehen werden (7)
Und damit klar ist, dass ich nicht nur theoretisch gegen Atomstrom bin:

Selbstverständlich ist diese Webseite bei einem Provider gehostet, der seine Serverfarm mit Windenergie betreibt, nämlich bei Taproothosting

Und ja, unser Haushalt bezieht 100% Ökostrom, absolut atomstromfrei (siehe oekostrom-Interview)

Die Quellen

1) Fischer Weltalmanach zum Thema „Atomstrom“ (Zahlen für 2005/2006)
2) „Streitpunkt Kernenergie – Eine neue Debatte über alte Probleme“; 2009 Ökoinstitut e.V. – Institut für angewandte Ökologie
3) New Energy Realities (IEA Press Release)
4) Power für Deutschland – Energieversorgung im 21. Jahrhundert; 2007; Publikation des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)
5) Kernenergie – sicher, klimaschonend, preiswert?; 2010; Kallenbach-Herbert, B.; Matthes, F.; Hermann, H.; Pistner, C. (Ökoinstitut)
6) Global 2000, Atombroschüre
7) Analyse der Entsorgungssituation in der BRD und Ableitung von Handlungsoptionen unter der Prämisse des Ausstiegs aus der Atomenergie; Heinrich Böll Stiftung, Berlin, PanGeo – geowissenschaftliches Büro; Zusammenfassung
Weitere Quellen (da ich mich ungern auf einzelne Quellen verlasse habe ich Querchecks gemacht)
International Energy Agency: Key World Energy Statistics 2010 (auch als iPhone App erhältlich: iTunes-Link)
IEA World Energy Outlook 2009
International Atomic Energy Agency (IAEA)
ndr: Hintergrund: Atommüllzwischenlager

Similar Posts

Schreibe einen Kommentar zu Atom-Strom.de - Nein Danke Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

3 Comments

  1. „Falls es nicht ohnehin schon von selbst einleuchtet: alte Reaktoren — veraltete Technik — höheres Sicherheitsrisiko — nicht umweltfreundlich.“
    „Einleuchtet“ ist in dem Zusammenhang ein herrliches Wort. 😉